Aufführung 2015

Theater-AG des Montfort-Gymnasiums stellt wesentliche Fragen

Was ist gelebtes Leben?

Helmut Voith in der Schwäbischen Zeitung am 15/05/2015

Mit „norway.today“ bringt die Theater-AG des Montfort-Gymnasiums ein Stück auf die Bühne, mit dem sie sich bei Schultheaterfestivals zeigen könnte.

Eigentlich ist es ein Zwei-Personen-Stück, das Igor Bauersima, durch eine Pressemeldung angeregt, im Jahr 2000 geschrieben hat und das seither in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde. 2002 hat es das Theater für Vorarlberg in einer sehr beeindruckenden Inszenierung gespielt. Zwei junge Menschen verabreden sich in einem Chatroom zum gemeinsamen Suizid. In Norwegen wollen sie vom Preikestolen-Felsen am Lysefjord 600 Meter tief in den Tod springen. Im Theaterstück und Hörspiel wollen sie zuletzt zurück ins Leben.

Spielszene aus norway.today

Erst am Abgrund lernen Julie (Alisa Geßler) und August (Kai Spellmeier) sich selbst und das Leben kennen.

Über den Sinn des Lebens

Die Tettnanger Theater-AG hat mit ihrer Leiterin Antje Prospero das Stück ein Jahr lang von allen Seiten abgeklopft, hinterfragt. Aus sehr vielen Gesprächen der jungen Menschen über den Sinn des Lebens, über Vernunft und Suizid und über die Liebe entstanden dichte Sequenzen, die in die vorhandene Handlung eingebettet wurden. Die beiden Protagonisten, Julie und August – er aus einer Loser-Familie, sie aus der Oberschicht – erhalten so ihre Geschichte, ihr Umfeld, eine durch und durch aktuelle Welt. Neben Szenen, die fast dokumentarisch wirken – Mobbing in der Schule, Probleme am Mittagstisch zu Hause – stehen Verfremdungen. In Schwarz gekleidet, bewegen sich an die 20 Spieler in eleganter Choreografie als Chor über die Bühne, jeder trägt auf dem Hinterkopf eine weiße Maske. Chatroom, Raum für Gedanken, die alle umtreiben. Nach und nach verschwinden die schwarzen Gestalten, die Protagonisten bleiben übrig. Der Zuschauer erlebt sie in zwei Zeitebenen: hoch oben am Rand der Klippe, dick vermummt und fest entschlossen, gemeinsam ihrem Leben ein Ende zu bereiten, und in Rückblenden – in der Familie, in der Schule, mit Freunden.


Die Gespräche kreisen um den Sinn, sie zeigen, dass da für die beiden nichts ist, wofür es sich lohnt zu leben: „Woher will denn irgendeiner wissen, was ist?" Alles unwirklich, nichts echt: „Aus dem Fake wie hier tret' ich easy ab." Beklemmend. Doch in der Extremsituation am Berg erfahren sie Wirklichkeit, Emotionen, aufkeimende Liebe, nie gekannte Zärtlichkeit. Vor der Videokamera wollen sie sich verabschieden und finden keinen Grund mehr. „Ich will weg hier – ich auch." Werden sie jetzt ihren Platz finden? Das bleibt offen, ein Happyend wäre zu billig.

Ensemble aus einem Guss

In der zupackenden und zugleich diskreten Regie von Antje Prospero ist lebensechtes Theater zu erleben, allen voran die Protagonisten Alisa Geßler und Kai Spellmeier als Julie und August auf der Klippe und Leonie Brugger und Niklas Egger in den Rückblenden. Um sie herum ein spielfreudiges Ensemble aus einem Guss. Schmerzhaft schöne Naturbilder der Technik-AG begleiten das Erleben am Rande des Todes. Die Jugendsprache ist sehr direkt, die Auseinandersetzung mit dem Suizid unausweichlich. Schultheater zeigt hier nicht nur keine heile Welt, sondern stellt in Frage. Ein Wagnis, großartig. Das ist Theater, das ist Kunst.

Theaterplakat norway.today

 

 

Blind Date zum finalen Sprung

Die Theater-AG des Montfort-Gymnasiums brilliert mit dem Suizid-Drama „Norway.today“ von Igor Bauersima

Südkurier vom 20.05.2015

Der Selbstmordbeschluss ist leichter gefasst als umgesetzt: Gehalten von August (Kai Spellmeier) wagt Julie (Alisa Geßler) den Blick in den 600 Meter tiefen Abgrund. Bild: Schwier

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Auch wenn an einigen Stellen herzhaft gelacht wurde: Die Botschaft von „Norway.today“ geht unter die Haut. Die Theater-AG des Tettnanger Montfort-Gymnasiums feierte am Freitagabend mit dem Stück des Schweizers Igor Bauersima Premiere. Zwei Teenager an der Schwelle zum Erwachsenwerden, die gemeinsam aus dem Leben scheiden wollen, solch ein Stoff lässt vor allem die zahlreichen Eltern in der voll besetzten Schulaula nicht kalt. Doch dass die Aufführung nicht allzu sehr ins Düstere, Depressive abdriftet, liegt zum einem am Wortwitz der Textvorlage, zum größten Teil jedoch an den hervorragenden Darstellern. Allen voran die beiden Hauptdarsteller Alisa Geßler (Julie) und Kai Spellmeier (August), die die innere Zerrissenheit dieser Altersklasse glaubhaft präsentieren.

Geßler nimmt man die Figur der zwanzigjährigen Julie als Mischung aus Oberzicke, It-Girl aber auch äußerst sensiblen Menschen sofort ab. Julie ist die treibende Kraft hinter dem kollektiven Selbstmordplan. Ihr vordergründiges Motiv ist die Übersättigung am Leben. „Ich hab' keinen Hunger mehr. Ich bin bedient. Ich hab' genug. Ich hab' gehabt“, resümiert sie gleich mehrfach auf äußerst abgeklärte Art und Weise. In einem Selbstmörder-Forum im Internet sucht sie nach Gleichgesinnten, die mit ihr in den Tod gehen wollen. Sie stößt auf August, der sich in der digitalen Welt weitaus selbstbewusster präsentiert als beim späteren ersten Kennenlernen. Julies aggressive Coolness trifft auf Augusts trotzig verklemmte Art. Herrlich wie Kai Spellmeier hier den nervösen Jüngling gibt. Fürs verlegene Nasebohren eindeutig schon zu alt, nestelt er stattdessen unentwegt an seiner Brille herum. Wenn er sagt: „Das echteste Gefühl, das ich haben kann, ist das Gefühl des Nichts“, möchte man am liebsten auf die Bühne gehen und ihn einfach nur in den Arm nehmen.

Von einer 600 Meter hohen Klippe in Norwegen soll die gemeinsame Reise in den Tod gehen. Im hohen Norden angekommen, beginnt die langsame, aber stetige Annäherung der zwei Lebensmüden. Auf den ersten Blick eint die Beiden, bis auf die Todessehnsucht, wenig. Mithilfe szenischer Rückblicke auf prägende Erlebnisse der Beiden offenbaren sich jedoch bald einige Gemeinsamkeiten. Hier hat Regisseurin Antje Prospero zusammen mit ihren Schülern Igor Bauersimas ursprüngliches Zwei-Personen-Stück konsequent umgearbeitet und weitere Rollen geschaffen.

Neben der Einführung eines Chores, der sich zu den Themen des Stückes wie Liebe, Suizid und gesellschaftlichem Leistungsdruck äußert, wurden auch die Ausflüge in die Vergangenheit der zwei Protagonisten dazu gedichtet. Eine geniale Idee von Regisseurin Prospero, wie sich zeigt, erfährt der Zuschauer doch nun einiges über die Motive der Beiden.

Die jüngeren Ausgaben von Julie und August spielen Leonie Brugger und Niklas Egger, die mit ihrer Darstellung ebenfalls überzeugen können. Auch in den Rückblicken liegt das Hauptaugenmerk zunächst eher auf dem Trennenden als auf dem Verbindenden, exemplarisch dargestellt an parallel auf der Bühne stattfindenden Szenen, etwa beim Abendessen oder im Klassenzimmer. Auf der linken Bühnenhälfte agiert August samt Familie, rechts gewährt Julie Einblicke in ihre Welt. Hartz IV trifft Business Manager. Plastiktischdecke versus gestärktes Leinentuch. Augusts Vater (Mattis Holland) geriert sich als Voll-Proll mit Bierflasche und rassistischen Sprüchen, Julies Vater (Moritz Dornseiff) erscheint als dauertelefonierender Schlipsträger, der seine Tochter mit kostbaren Geschenken abspeist.

August wird in der Schule gemobbt, Julie ist von ihren oberflächlichen Freunden angeödet.
Obwohl August und Julie aus ganz unterschiedlichen Schichten kommen, haben sie dennoch Gemeinsamkeiten. Dessen werden sie auf der hohen Klippe auch selbst gewahr, und das Selbstmordbündnis der zwei verletzten Seelen beginnt langsam zu bröckeln. Ob sie springen werden? Oder birgt das Leben doch noch neue Reize?
Die Theater AG des Montfort Gymnasiums hat zusammen mit ihrer Leiterin Antje Prospero ein sehr ernstes, leider auch aktuelles Thema auf die Bühne gebracht und hervorragend umgesetzt.

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